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Roman Baltes • Juni 03, 2022

#RaceReport #cap55 "Mittelgebirge Classique"

Auch Hummeln können ja bekanntlich fliegen... 🙃


Als jemand, der eigentlich physiognomisch für "bergauf" (im Gegensatz zu "bergab") weniger geeignet ist, war von vorneherein klar, dass diese Challenge mich an meine Grenzen führen würde. Die Experten von DOTWATCHER sprachen im Vorfeld nicht umsonst von einem "climber's race". Selbst wenn man dann in einem für meine Verhältnisse (nahezu) bestmöglichem Zustand was das Verhältnis von Körpergewicht und Power angereist ist, gibt einem dieses Wissen dann schon bei der Einschreibkontrolle mit Blick auf die reine "Kletterfraktion" deutlich unter 70 kg - ich denke es waren auch selbst bei den Männern Fahrer mit unter 60 kg am Start - sehr zu denken und gibt nochmal ein Stück Demut mehr mit.

Mein Plan war es aber ohnehin von Anfang an in Richtung gewisser Endzeiten mit denkbaren Durchgangszeiten an gewissen Stellen des Tracks zu denken - alles unter dem Oberziel des Zeitlimits von 113 Stunden.

Ich habe daher auch zu keinem Zeitpunkt bis Wingen-sur-Moder etwa 150 km vor dem Ziel einen Blick auf das Zwischenklassement verschwendet (gut, am Checkpoint bei KM 520 wurde ich in Kenntnis gesetzt). Denn: So ein Tracker ist schon geil, es ist was anderes wie sonst, aber was soll ich mich zum Sklaven dieses Kasterls machen und mich so nur selbst stressen bzw. noch zum Überziehen nötigen lassen. Sinnlos. #RideSmart

Aber nun das Rennen im Einzelnen:

Start am Sonntagmorgen um 06:00 Uhr in Neustadt/Weinstraße. Es hatte nachts schon teilweise geregnet - auch in Hainfeld, wo ich in einem AirBnB übernachtet hatte - der Start und die Kalmit runter waren noch knochentrocken, dahinter war es teilweise aber schon gepflegt nass, was für mich auf den Abfahrten (die mir eh deutlich mehr liegen) allerdings mehr Vorteil denn Nachteil war. Stichworte Discbrake, die Top-Reifen von Continental in 28 mm und die Felgen aus dem Hause Lightweight. Letztere sind aufgrund ihres geringen Gewichtes wie der irren Steifheit nicht nur bergauf eine Macht.

Nachdem mich Mathias ein gutes Stück begleitet hatte, durfte ich vor Wissembourg dann im Rennen auch die persönliche Bekanntschaft von Jana Kesenheimer machen - eine Inspiration für sehr viele da draußen und eine ultra-starke Fahrerin, die auch gerade viele Fahrerinnen (von denen es in unserem Ultra- wie auch Randonneurssegment immer noch leider zu wenige gibt!) in den letzten Jahren zum Radfahren begeistern konnte. Leider musste Jana später aufgrund von Knieproblemen am Checkpoint die Segel streichen - ich war schon verwundert hinter Wissembourg hoch zum "Pigeonnier" im Abstand von 30 Metern ihr Hinterrad halten zu können (am Mangart vor Jahresfrist beim "Three Peaks" war dies in keiner Weise möglich), später die "Ebersteinburg" hoch konnte ich sogar an einer der steilsten Passagen überholen. Ohne körperliche Defizite normal unmöglich. Daher: Erhol Dich gut, Jana!

Bevor es in den Schwarzwald ging, hatte ich in der Ebene noch tolle Begleitung von zwei Elsässer Randonneurskameraden, die ich erst unlängst beim 300er-Brevet in Freiburg hintenraus kennengelernt hatte. Sylvain und Patrick - ihr seid auch herrlich "bekloppt", einfach eine Bank. Danke!

Was dann im Schwarzwald folgte, war episch. Eine extrem schwere Streckenführung, vom Allerfeinsten gescoutet. Oft steil (es waren bei mir auf dem Garmin stellenweise lange auch mal 15-18% angezeigt, es gab von Kletterern am Checkpoint auch die Worte 18-21%), bis auf den "Oppenauer Buckel" hinauf extrem verkehrsarm, einfach herrlich. Die erste Nacht dann nach 320 km im EC-Hotel in Steinach, der 24/7-Automat der Metzgerei (der auch voll-vegetarischen Nudelsalat im Angebot hatte!) direkt nebenan war ein Zuckerl on top.

Am nächsten Morgen früh ein paar heftige "Wellen" bis zum Fuß des Kandel, dort Frühstück, um dann via eben Kandel - Sankt Märgen - Thurner - Hinterzarten - Feldberg - Notschrei - Schaui - Belchen wunderschönst zum Checkpoint ans Wanderheim Stockmatt zu kommen. Ich kenne diese Ecke von diversen Radmarathons im Schwarzwald wie auch den ganzen Freiburger Brevets für einen Auswärtigen sicher exzellent (so sah ich von hinten herankurbelnd Glenn Bloemen hoch zum Thurner schon verzweifelt Zick-Zack fahren und rief noch "by far steepest part here") - ich muss aber wirklich auch hier sagen: So eine gute Komposition eines Tracks da oben habe ich noch nicht gesehen und sie wäre mir auch nicht eingefallen.

Bis zum zweiten Frühstück in Hinterzarten im Schatten der Skisprungschanzen lief es eigentlich weiter sehr gut, die extremen Rampen auf dem asphaltierten Wanderweg zum Feldberggipfel waren aber im Nachhinein schon sehr sehr abnutzend, zudem war der ganze Wechsel zwischen der (körperbedingten) "Wärme" bergauf wie den für Mai/Juni ungewöhnlich kalten Abfahrten für meinen Körper fast schon Zuviel. Ich habe daher gefühlt ewig von Schauinsland bis Belchen gebraucht, alles von "Belchen Satt" wohlbekannt und mal so gar kein Ding. Normalerweise.

Erst eine Kombination aus 2 Flaschen Almdudler mit einer Tüte Chips plus einer Tüte Haribo (das muss ein Magen auch erstmal aushalten!) an der Tanke in Schönau machten es dann etwas leichter, bis ich kurz vorm Checkpoint "Wanderheim Stockmatt" auf Daniel traf, der schon auf mich gewartet hatte und den Knochenbrecher hoch zum Checkpoint eine große Hilfe war. Am Checkpoint erst Mal gescheit verpflegen (Kartoffelsuppe und alkoholfreies Weißbier) dann gings auch schon weiter zum Sonnenuntergang am letzten Schwarzwaldberg "Hochblauen". Dort traf ich die Entscheidung in Ensisheim (10 km vorm Einstieg in die Vogesen) im faktisch "ersten Hotel am Platz" für erstaunlich wenig Geld zu übernachten. Eine Dusche nach der "Entsalzungsorgie" ab "Schaui" war ebenso bitter notwendig wie ein Bett zum Erholen.

Sehr früh ging es dann zur ersten Passage des "Grand Ballon" (höchster Berg der Vogesen), in der Auffahrt traf ich die spätere Zweitplatzierte der Frauenwertung und konnte auch noch mit Fanny ein paar Worte "en français s'il vous plaît" wechseln. Weiter ging's hinter "Grand Ballon" über Col d'Oderen, Col du Page, Ballon d'Alsace, Col du Hundsruck ("Quäl Dich, Du Sau!") und erneut "Grand Ballon" Richtung "Petit Ballon" (der schönste der "Ballons des Vosges"!) und Munster.

Bis hierhin muss man sagen: Bis auf die Probleme im letzten Teil des Schwarzwalds lief es für mich exzellent. Und ich hatte eigentlich nur schockiert am "Grand Ballon" bei der zweiten Passage von Mitstreitern beim Verpflegen erfahren, dass ein extrem starker wie erfahrener Fahrer nämlich Pascal "le vieux Bridou" (immerhin schon 65 Jahre alt) wegen Fußbeschwerden sehr weit vorne liegend offensichtlich aufgegeben hatte. Es hätte mir in Munster, wo mir mein Bauch ohnehin schon sagte: "Es ist zwar erst 20:00 Uhr, aber beende den Tag." eine Warnung sein sollen. War es aber nicht. Der alte Sturkopf in mir (wissend wie exzellent ich in Bezug auf meine eigenen Marschpläne lag) beschloss: Mémorial du Linge, Col du Wettstein, Lac Blanc, Col du Calvaire, Col du Bonhomme, Col du Pré de Raves und Col des Bagenelles geht alles noch (es liest sich schlimmer als es ist, weil man ab "Bonhomme" eigentlich bis auf einen kleinen aber giftigen Gegenanstieg den ganzen Packen in der Abfahrt mitnimmt).

Nachtlager wollte ich dann in Sainte-Marie-aux-Mines nehmen - dass es dort ein EC-Hotel hat, wusste ich als Vogesenliebhaber. Der Weg von "Bonhomme" bis ins Tal der Lièpvrette war dann die Hölle. Zwischen "Pré de Raves" und "Bagenelles" dreimal Feindkontakt mit Wildschweinen - einmal war es ultra-knapp, wir hatten Augenkontakt nach meiner Vollbremsung - danach logischerweise sehr gebremstes Abfahren und dadurch erstes komplettes Auskühlen bis zum EC-Hotel in Sainte-Marie-aux-Mines. Ab in den Biwaksack und Schlafen. So der Plan.

Aber: Eine Routine-Wachdienst-Streife der Bank hat mich dann nach einer guten Stunde gegen 02:30 Uhr ziemlich unsanft aus der Unterkunft hinauskomplimentiert. Folge: Biwak draußen in direkter Nähe der Lièpvrette - und Biwak am Bach war dann der letzte Nackenschlag für meinen Körper. Ergebnis: Durchgefroren und alle Muskeln aber komplett zu.

Auch zwei Stunden beim Bäcker und Aufwärmen brachte nichts. Ich entschloss mich dann, einen Ruhetag einzulegen und fand direkt neben dem Bäcker ein Bed & Breakfast geführt von einer Belgierin, der Mann Radsportfan, die sich mit Tee und unaufgefordertem Reichen von Reis mit Bolo rührend um mich kümmerte. Zwei Stunden (!) Duschen - meine Körpertemperatur war sicher bestenfalls bei 35 Grad - und Schlafen bis um 01:15 Uhr nachts am Folgetag brachten mich wieder zurück auf die Spur.

Als erfahrener Randonneur - Langstreckler - whatever, der allermeist in Gruppen auch irgendwann von selbst den "Capitain de Route" geben darf - zumal wenn es "eng" wird - war mir klar, dass ich, um Sicherheit auf das Zeitlimit zu haben, die Vorbelastung der Vortage im Blick mindestens 21 Stunden für die restlichen 290 km mit gut 4000 Höhenmetern in der Hand haben musste. Also war der Start um 02:00 Uhr früh gesetzt. Schon die steilen Treppen in der Unterkunft runter spürte ich: "Junge, Du hast warm, Du bist wieder frisch, hast keine Muskelschmerzen mehr. Da könnte was gehen." Denn die Pläne eines "Road Captain" gehen eben auch nur dann auf, wenn es auch "gute Beine" hat.

Col de Fouchy bergauf war mir dann klar: Das nimmt die richtige Richtung. Am nächsten Berg, dem "Champ du Feu" traf ich dann Lisa - wir hatten uns viel zu erzählen und machten nebeneinanderfahrend bis zum "Zwischen-Col" am "Charbonnier" gemeinsame Sache. Kurz vor Sonnenaufgang oben am Turm des "Champ du Feu", rasende Abfahrt im Morgengrauen ins Tal der Bruche, Einkauf von "Pain au Chocolat" am Hintereingang einer Bäckerei, "Col des Pandours", "Col de Valsberg", die "Mauer von Pfalzburg" bis Wingen-sur-Moder. Es war fast ein Kinderspiel und hier war die Hälfte des Weges von Sainte-Marie-aux-Mines bis ins Ziel auch schon geschafft. Mit 13 Stunden in der Hand für gut 140 km bis Zielschluss. Also nochmals Verpflegen, denn ich wusste, dass "Zwölfapostelstein", die "Mauer von Liederschiedt", die "Mauer von Obersimten" nochmal ein richtiger Abnutzungskampf werden würden. Waren sie auch, aber den Umständen entsprechend problemlos.

Ausnahme: In Schweix direkt hinter der Grenze schon wieder in Deutschland wurde mir schon die Vorfahrt genommen, eine Kollision war nur noch mit Vollbremsung und Rad hinten halb rum zu vermeiden. Das war zwar fahrerisch top, aber ich habe bei dem Manöver auch irgendeine Bewegung gemacht, die mir den Sitzbereich final so richtig demoliert hat. Die Schmerzen beim Sitzen nahmen bis Pirmasens exponentiell zu (jeder der mich kennt weiß, welche Härte ich auf dem Rad zuallererst gegen mich selbst pflege), aber das war Zuviel. In Clausen habe ich mir dann das Elend betrachtet und musste auch in der klassischen Vorgehensweise (mit desinfizierter Nadel "öffnen", desinfizieren, Blasenpflaster, Nachschmieren) operativ eingreifen um halbwegs "in Ruhe" finishen zu können.

Finish dann trotz aller Probleme und einem Kardinalfehler in Munster locker im Zeitlimit nach insgesamt 109 Stunden und 5 Minuten (Platz 60, offizielle Zeit ohne Neutralisation).

Fazit: Episch. A ride to remember. Läuft in 30 Jahren sicher unter der Kategorie "Oppa erzählt wieder vom Kriech". Und bei allem Zweifel als 80-Kilo-Fahrer immer dran denken: Auch Hummeln können ja fliegen!

Last not least: Ein riesiges DANKESCHÖN an die Veranstalter Christoph, Markus, Christian und Martin. Es war ja zudem noch eine Erstausgabe, was immer eine besondere Herausforderung für die Orga ist - daher: Ein Event von "Helden der Langstrecke" für "Helden der Langstrecke". Empathie, klare Kommunikation, Herzblut und Passion, einfach rundum vom Allerfeinsten!
 
Für alle Freunde der #FactsAndFigures - mein Rennen findet ihr en detail bei STRAVA ... and last not least: Photocredits @ Charlotte Gamus & Stefan Herr 🙏

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von Roman Baltes 15 Sept., 2022
PROLOG Ich habe mir sehr schwer getan - und deshalb hat es auch lange gebraucht, diesen Bericht zum "Hannibal Rider" zu schreiben. Ein DNF ist immer schon eine schwere Sache, was die mentale Aufbereitung für sich selbst angeht, wenn es aber wie hier aus dem "blauen Himmel" und ohne Eigenverschulden eintritt, ist es einfach nur bitter. Trotz aller megamäßigen Erfahrungen unterwegs in Sachen Natur / Landschaft wie mit Menschen (offline unterwegs wie online aus der Ferne mit Zuwendung wie Motivation) und trotz einem durch viele positive Erfahrungen wie Nackenschläge auf "langen Kanten" gestählten sowie ohnehin nicht weichen Gemüt (wenn es sein muss oder besser gesagt, man für sich der Meinung ist, dass es sein muss): Schwierig. Sehr schwierig. Mehr dazu ganz am Ende nochmals - aber lest erst einmal selbst, wie es dazu kam. BERICHT Es war schon im Vorfeld klar, dass der "Hannibal Rider" eine epische Angelegenheit werden würde: Ein „Brevet fédéral“ – also eine „Grande Randonnée“ bzw. ein überlanges Superbrevet – das in maximal 300 Stunden zu bewältigen ist. Facts & figures: 40000 Höhenmeter – 2500 km, davon gut 160 km Schotter – 52 Pässe, dabei fünfzehn über 2000 m üNN und einer über 3000 m üNN Meine Überlegungen dazu hatte ich hier im Blog in einem Vorbericht daher ja auch ausführlich dargestellt. Aber: Das Reißbrett oder der Elfenbeinturm sind das Eine. Die Praxis und Realität das andere. Was man als erfahrener Rad-Langstreckler natürlich auch weiß (aber gern verdrängt). Denn: Wer sich an den Start eines Brevets (insbesondere oberhalb 300 km Distanz) oder gar eines "Ultra" im Rennmodus stellt, muss bereit sein, ab KM 0 jeden Plan über den Haufen zu werfen, wenn die Umstände dies erfordern. Es ist ab einem gewissen Zeitpunkt ein einziges "Reagieren – Anpassen – Probleme lösen". Das wiederum erfordert Bereitschaft zur Selbstdisziplin, unendlicher Ruhe auch bei mehreren Schwierigkeiten ("eins nach dem anderen") und Kreativität selbst in Momenten wo Du eigentlich mental und/oder physisch eigentlich völlig down bist. Allein in totaler Autonomie - zumeist auch auf Brevets, bei Ultrarennen ohnehin. Und "allein unterwegs", das war (einmal mehr) mein Los. Ab "Kilometer 0" raus nach vorn bis zum unverschuldeten vorzeitigen Ende bei KM 1394 mitten in den Alpen. Ich bin dabei die ersten Meter sehr bewusst langsam und bedächtig angegangen, aber schon am Ortsausgang von Pavilly nach der ersten Mini-Welle gab mir ein kurzer Blick zurück die Gewissheit: Da ist schon keiner mehr in Sichtweite hinter Dir... Mir war klar, dass unter Umständen schon das Verlassen des Seine-Tals bei KM 38 und dem guten Kilometer an Steigung mit langen Passagen über 15% und längeren Spitzen bei um die 20% Steigung auf einem herrlich steilen und schmalen Hohlweg (für ein echtes Flandern-Feeling fehlten eigentlich nur ordentliche "kasseien" bzw. ein grobschlächtiges "pavé") jede Gruppe sprengen könnte. Aber schon bis dahin komplett allein unterwegs zu sein, damit hatte ich nicht gerechnet.
von Roman Baltes 29 Juli, 2022
Heiß, staubig, steil und anspruchsvoll – der „Hannibal Rider“ wird eine Herausforderung: 2500 km Radfahren in völliger Autonomie von Pavilly (Seine-Maritime) bei Rouen auf den Spuren Hannibals in Richtung Westalpen bzw. italienisches Piemont und wieder zurück nach Pavilly. Ein „Brevet fédéral“ – also eine „Grande Randonnée“ bzw. ein überlanges Superbrevet – das in maximal 300 Stunden zu bewältigen ist. Facts & figures: Start am 31.07. um 07:00 Uhr – 40000 Höhenmeter – 2500 km, davon gut 160 km Schotter – 52 Pässe, dabei fünfzehn über 2000 m üNN und einer über 3000 m üNN Es geht dabei von der Normandie bis ins Piemont auf kleinen, idyllischen und friedlichen Straßen – wobei die Schwierigkeiten des Tracks nach und nach zunehmen. Zuerst geht es durch einige schöne Hügel in den regionalen Naturparks („Boucles de la Seine Normande“, „Haute Vallée de Chevreuse“, „Gâtinais Français“ & „Morvan“) dann folgen die ersten Pässe ohne große Schwierigkeiten im „Haut Jura“.
von Roman Baltes 12 Juli, 2022
Neben der Idee, in 2022 nur ein Ultracycling-Rennen mit der „Mittelgebirge Classique“ zu fahren, um gewissermaßen ein „Zwischenjahr“ einzulegen, war es mein erklärter Plan sich dieses Jahr einerseits auf noch unbekannte Pfade zu begeben (ich war zwar schon mit und ohne Rad mehrfach in Tschechien, aber noch nicht allein auch mal derart abseits „in the middle of nowhere“) bzw. andererseits mindestens in ein Land zu fahren, wo man noch nicht mal ansatzweise einen Brocken der Sprache beherrscht. Denn Tschechisch hat sowohl mit meiner deutschen Muttersprache als auch mit Französisch oder Englisch (die ich beide äußerst leidlich beherrsche) wie auch mit Flämisch oder Italienisch (bei denen es zu verstehen und immerhin ganz einfacher Basiskommunikation reicht) so rein gar keine Verwandtschaft. 1000 km auf dem Rad im Brevet-Modus bedeuten, dass man für eine Homologation bzw. ein erfolgreiches Finish „egal wie“ – aber in jedem Fall ausschließlich mit eigener Muskelkraft – nach maximal 75 Stunden im Ziel sein muss. Das „egal wie“ sollte man nicht ganz so locker nehmen, wie es klingt, denn wie die Jungs bei „ARA München“ schreiben, gilt natürlich: „Wir betreiben den Randonneurssport gemäß den Regeln des BRM und legen Wert auf Autonomie und Eigenverantwortung bei unseren Brevets. Daher sind Begleitfahrzeuge strikt verboten und führen zur Nicht-Homologation, auch beim 1000er. Für Verpflegungs- und Übernachtungsmöglichkeiten hat jeder Teilnehmer selbst zu sorgen.“ Wenn man es auf den Punkt bringen will, wir sprechen hier von einem 1000er auf dem Rad – und egal was man vorher schon mal gefahren ist – es gilt das, was ich Vinzenz Mai am Vorabend des Startes geschrieben hatte: „Das ist ein 1000er und bei allem oberhalb 300 wird es immer, für jeden, eine Menge Holz. Das Terrain ist aber quasi Ostfrankreich an anderer Stelle des Kontinents, also keine „Climbers Challenge“ wie zB die „Mittelgebirge Classique“ oder auch die Superrandonnée „Belchen Satt“. Und da Abwechslung das Salz in der Suppe ist: Ich freu mich drauf.“ Wie Recht im Allgemeinen und Unrecht im Besonderen ich haben sollte, würde sich erst später zeigen… Nach einer eher unentspannten Anreise mit Zügen am Rande der Kapazität wie auch verpasstem Anschluss in Würzburg im Stil der neumodischen Erscheinung „Neun-Euro-Tours“ kam ich doch noch zu einer vernünftigen Zeit in München an, was es erlaubte, die Startunterlagen vor Check-In ins Hotel schon am Vorabend des Starts abzuholen. Mit dem Rad zum Hotel, Essen, Schlafen, mit dem Rad zurück zum Bahnhof, dort den Reise-Rucksack mit den Zivilklamotten ins Schließfach packen und dann entspannt zum Vorstart rollen. Dort angekommen traf ich dann sowohl auf die anderen Teilnehmer wie auch Brian Lautenschläger und Tino Knauth – beides erfahrene Langstrecken-Veterane. Man kennt sich, schätzt sich und so kommt nun der fast schon schönste Teil der Veranstaltung beim gemeinsamen Frühstück im „3 Mills“, wo man Zeit hat, sich bei aller Vorspannung doch ein letztes Mal noch gemütlich auszutauschen. Eher ungewöhnlich für einen 1000er ging es dann Punkt 08:00 Uhr morgens vom Roecklplatz aus auf die Reise. Die ersten 300 km bis Linz auf sehr guten Straßen mit Rückenwind und klassischem Rouleur-Terrain (also nicht „flach“ wie vom Veranstalter angegeben, sondern durchaus kupiert) waren wie gemacht für mich. So war es auf dem Weg zur ersten Kontrolle in Ried (A) nicht verwunderlich, dass unsere Gruppe immer kleiner wurde – zuerst noch zu viert mit Carsten, Jörg und Leonard. Letzterer musste dann irgendwann in den letzten beiden Wellen vor Ried auch ob seiner „Vorbelastung“ in den Pyrenäen etwas gemäßigter weiterfahren. Zu dritt schlugen wir nach gut 200 km und faktisch ohne Pause in Ried an der ersten Kontrolle auf, mit einem Schnitt weit über der markanten 30 km/h. Nach kurzem Auftanken ging es weiter nach Linz, genieselt hatte es schon die ganze Zeit, jetzt fing es für ein paar Meter etwa stärker zu regnen an, es hörte aber gerade in dem Moment auf, als wir einen Gedanken daran verschwendeten, ob es nicht sinnvoll sein könnte, die Regenjacke anzuziehen. In der letzten Rampe vor der Abfahrt ins Donautal und Kurs auf Linz (Kontrolle 2) nehmend, beschlich mich schon das Gefühl, dass die Pace vorneraus für mich etwas Zuviel des Guten war. Ich sollte Recht behalten: Die Übernahme von Führungsarbeit schon im Flachen bis Linz fiel mir zunehmend schwerer und nach der zweiten Kontrolle und ausgiebigem Abendessen war berghoch auf dem Weg ins Mühlviertel (es sind hier bis zur österreichisch-tschechischen Grenze allein auf dem längsten zusammenhängenden Anstieg gut 500 Höhenmeter zu bewältigen) recht schnell der Ofen aus und ich ließ meine Begleiter Carsten und Jörg ziehen um in einem gleichmäßigen, etwas langsameren Tempo die Reise fortzusetzen. Über mehrere kurze, giftige Rampen kam ich dann beim letzten Tageslicht in Deutsch-Hörschlag an, zugleich der letzte Ort in Österreich und schon hier war man mittlerweile in einer Einsamkeit unterwegs, dass der Ausdruck „wo sich Hase und Igel Gute Nacht sagen“ voll zutreffend war – auch ohne dass mir ein ganzes Hasenrudel auf dem asphaltfreien, mit unangenehmen Schotter-Querrinnen gespickten Weg zur Grenze nach Český Heršlák (deutsch: Böhmisch Hörschlag) begegnet wäre. Mit Blick in meine Fahrtrichtung nach Norden weiter nach Tschechien hinein wurde meine Stimmung schlechter: Es hatte in der Dämmerung doch massiv zugezogen und in Rožmitál na Šumavě (deutsch: Rosenthal im Böhmerwald) kam es zum ersten Mal richtig nass von oben herunter. Ich erspähte in der Dorfmitte einen abgestellten Reisebus – und die Intention war richtig: Wo ein Bus parkt, ist auch ein Bushäuschen. Also dort rein, Regenjacke an und während ich das dickste der kleinen Front abwartete, schloss Marcus von hinten zu mir auf. Auf den unübersichtlichen, schmalen, kleinen, schlechten und mit einigen heftigen Rampen (mit Spitzen knapp unter den 20%) gesalzenen Sträßchen – weitestgehend auch noch durch dichten Wald – machten wir bis kurz vor Český Krumlov (sollte man mit Zeit mal unbedingt besuchen!) gemeinsame Sache. Trotz der notwendigen hohen Aufmerksamkeit und einigen Wildwechseln, einer auch nicht ungefährlich unmittelbar vor uns, hatten wir hier wie auch danach in der Kontrolle in České Budějovice / Budweis genug Zeit, um zusammen zu quatschen und ein paar angenehme Kilometer im Duo hinter uns zu bringen. Nach dem Verpflegen in der dritten Kontrolle in Budweis, war es mit „angenehm“ dann aber vorbei. Die große Regenfront (auf dem Radar sah sie noch recht harmlos aus), ging nun mitten in der Nacht „all-in“. In Hluboká nad Vltavou (lohnt auch einen Besuch!) kurz unterhalb Budweis war ich trotz aller Regenbekleidung schon komplett regendurchnässt. Da ich bis dahin extrem gut unterwegs war – bis Budweis hatte ich für gut 400 km keine 16 Stunden brutto gebraucht – fuhr ich in dem Regenwetter, gegen das ich generell ja keine Abneigung hege, noch zwei Stunden bis zu einem EC-Hotel in Protivín weiter, bis ich einsah, dass eine Fortsetzung so wenig Sinn machte. Die Videos auf Instagram geben meine Stimmung wie die „Lage“ anschaulich wieder. So eine Nacht mit derart üblen Bedingungen war mir seit dem Ventoux-Brevet 2018 auf dem Weg von Freiburg nach Nyons jedenfalls nicht mehr untergekommen. Als es langsam nachließ, begann es auch schon zu dämmern und der Weg zur vierten Kontrolle in Blatna war mit Astwerk, Blättern und vor allem Blüten übersät – man hätte meinen können, letztere hätte jemand ausgestreut, um etwas gut zu machen… Hinter Blatna folgt dann zuerst ein elend langer Kaugummihügel bis Nové Mitrovice, hier hatte die Nässe auch von unten aufgehört und es war an der Zeit, die durch die Regenfahrt komplett ausgewaschene Kette zu pflegen bzw. zu ölen. Denn es gibt für mich nichts schlimmeres als ein Rad, dessen Antrieb Geräusche macht. Auf den nachfolgenden Metern bis Plzeň – tendenziell bergab aber immer unrhythmisch mit steilen Rampen durchsetzt – standen dann (endlich möchte man sagen!) wieder breitere Straßen mit besserem Belag auf dem Programm. Es ist bekannt, dass in Tschechien wie auch sonst in Osteuropa (zumindest soweit ich das beurteilen kann in Polen, der Slowakei, in Ungarn, in Slowenien und in Kroatien) recht zügig-brutal, auf eine gewisse Art „konsequent“ Auto gefahren wird. Das war auf den belebteren, da größeren Straßen nun auch festzustellen. Aber! Die Tschechen pflegen dabei einen anderen, nämlich weit partnerschaftlicheren Umgang miteinander auf der Straße. Ich kann mich nur an zwei Fälle erinnern, bei denen auf den vielen Kilometern bei unseren Nachbarn rücksichtslos bei Gegenverkehr überholt wurde. In der Regel wird – auch vor Kurven – aus hoher Geschwindigkeit scharf hinter einem abgebremst und dann, wenn frei ist, in weitem Bogen überholt. Da ich, sobald ich eine (enge) Kurve überblicke (insbesondere bergauf), Autofahrern immer ein Zeichen gebe, dass die Bahn frei ist, setzen die Tschechen natürlich auch dann schon mal vorab zum Überholen an. Eine übergroße Mehrzahl (die LKW-Fahrer durchgängig) bedanken sich beim Wiedereinscheren mit Warnblinkanlage. Bis so ein Miteinander und positives Verhalten im Straßenverkehr in Deutschland festzustellen ist, kann man sicherlich warten, bis die Hölle zufriert… Dass es nach der fünften Kontrolle in Plzeň bei KM 550 und dem tiefsten Punkt der Strecke zur Sache gehen würde, war klar: Bis Karlovy Vary / Karlsbad würde eine große Zahl von Steigungen warten – alle nicht übermäßig lang, aber immer wieder mit steileren Rampen durchsetzt, zudem bis zur kurzen Abfahrt nach Karlsbad alles bei Gesamttendenz „bergauf“. Der geneigte, hartschlägige Langstreckenradfahrer (zumindest die männlichen, der weibliche Teil weiß sich in der Regel kultivierter auszudrücken) beschreibt das kurz und prägnant mit dem Begriff „Hügelgeficke“. Trotzdem unterließ ich es wider besseres Wissen, weil es appetitfrei einfach nicht ging, ausreichend zu essen. Ein grober Fehler, aber der Situation geschuldet. Viele Kilometer mit Ausnahme der Passage von Manětín (der „Barockperle Westböhmens“ – mega!) obendrein dann noch auf Straßen, deren Zustand diese Bezeichnung kaum verdiente. Angeblich wurde dieser Abschnitt des 1000ers ja „mit besseren Straßen entschärft“… Ich will mir gar nicht vorstellen, wo der Track früher entlang ging. Fakt: Bevor man über solche Äcker fährt, nehme ich lieber 100 km ne Waldautobahn. Dort rollt es bedeutend besser. Zum Glück gab es in Toužim, wo ich im übertragenen Sinne „auf der Felge“ einrollte eine kleine, wenn auch schlecht sortierte Tanke. Aber: Auch schlecht sortierte Tankstellen haben zumindest immer gesalzene Nüsse und irgendeine Zuckerbrühe im Angebot. So auch hier. Beides ohne Begeisterung in den Körper hinein und mal ne gute halbe Stunde Schlaf auf dem Marktplatz in der mittlerweile etwas häufiger zu sehenden Sonne gaben die notwendigen Körner, um den Weg nach Karlsbad zur sechsten Kontrolle halbwegs manierlich zu Ende zu bringen. Straßen „mit-ohne“ Belag inklusive. Kommt man aus einem solchen „Outback“, ist der Kontrast zu einer unter „normalen Umständen“ ähnlich wie Baden-Baden sehr russisch geprägten Stadt mit ihrem Prunk aus Zeiten der K.u.K.-Monarchie immer äußerst krass. Alle Objektivität hinten angestellt würde ich bei Karlsbad aber eher zum Attribut „Protz“ wie „Prunk“ greifen, woran man meine geringe subjektive Begeisterung für den Ort erkennen mag – vielleicht lag das auch an dem sehr harzig-unfreundlichen Service in der Tankstelle dort wo die Kontrolle zu absolvieren war. Ich kann eben kein tschechisch, aber wenn sich jemand bemüht und sich zumindest mit Basisvokabular verständlich zu machen versucht (bevor sie/er es dann mit Englisch probiert), habe ich an anderen Stellen noch nie so etwas erlebt – insofern, wer nach Karlsbad möchte, sollte zumindest diese Übersicht (wie ich auch) verinnerlichen: Hallo - ahoj Bitte - prosím Danke - děkuji Entschuldigung - promiňte Ja - ano Nein - ne Stempel - razítko Toilette - toaleta Wasser - voda Bier - pivo Nochmals zum Veranschaulichen: Wer den Umgangston in Berlin als „grob“ bezeichnet, war noch nicht in dieser Tankstelle in Karlsbad. Denn es gibt bei „grob“ eben auch die Nuancen „grob-freundlich“ oder „grob-ehrlich“. Und damit lässt sich’s locker umgehen… Nunja. Es ging nachfolgend schon Richtung zweiten Sonnenuntergang auf dem letzten Abschnitt in Tschechien um via Loket (tolle Burg!), Mariánské Lázně / Marienbad (mega für die Fans von morbid-prächtigem k.u.k.-Charme) und Tachov zur siebten Kontrolle in Svatá Kateřina zu kommen. Der mittellange, rollende Anstieg hinter Loket (wenn auch etwas steiler-kupiert oben raus) wie die unerwartet gut asphaltierte Abfahrt nach Marienbad liefen erfreulich gut, ebenso wie der folgende flache Transfer bis Tachov. Dahinter mehrere derbe Rampen jeweils aus den Ortschaften zogen erheblich Körner, am letzten Helling hoch in Richtung Hoštka wurde es dann endgültig dunkel, die zweite Nacht begann. Ich hatte mich bei Einfahrt in den Ort gedanklich schon mit dem Thema „Was wäre das Sinnvollste in Sachen Essen gleich bei der Kontrolle nach der Abfahrt vom höchsten Punkt am Ortsausgang?“ beschäftigt, allerdings etwas zu früh wie sich gleich zeigen sollte: Vom letzten Haus des Ortes auf der rechten Straßenseite aus kamen plötzlich zwei große Hunde (es hatte schon vorher etwas geraschelt, aber kein Bellen) herausgeschossen und attackierten mich von rechts-seitlich bzw. hinten-links. Trotz dem zum Glück schon recht groß geketteten Gang und meiner Power war es sehr sehr knapp. Den Hund von „hinten-links“ konnte ich erst am Ortsschild nach gut 100 Metern abschütteln. Einmal mehr eine krasse Erfahrung in Sachen „Hunde“, wie ich sie 2017 in der Champagne beim alten „ Saar-600er “ schon einmal ähnlich machen durfte… Mit einem gewaltigen Adrenalinschub ging es also in die siebte Kontrolle, zur Stärkung eine als Gulaschsuppe ausgezeichnete Kuttelsuppe. Aber nach gut 725 km ist Dir kulinarisch eh alles egal. Hauptsache was Warmes und Salziges bevor es in die Nacht geht. Wieder in Deutschland angekommen beschloss ich bei aufkommender Müdigkeit möglichst bis Oberviechtach zu fahren, um mir dort einen Kurz-Schlafplatz zu suchen, bevor es deutlich profilierter werden sollte. Das gelang auch – die dortige Sparkasse wird gerade umgebaut und so blieb mir ein großer, beheizter Baucontainer, worin sich übergangsweise der Geldautomat befand, als perfekte Unterkunft. Schon hier war mir, als ich zum Napping die Schuhe ausgezogen hatte, klar, dass der Zustand meiner Füße später noch Ärger bereiten könnte, denn durch die Regenfahrt in der ersten Nacht waren meine Fußsohlen derart aufgeweicht und zum Teil gerissen, dass noch Unangenehmeres zu befürchten war. Eine knappe Stunde vor Sonnenaufgang ging es dann weiter in die wiederum zahllosen Wellen-Anstiege-Rampen (zwei echt giftige darunter mit „15% plus“ jeweils) vor Regensburg (Kontrolle 8) – ein wunderschöner Sonnenaufgang inklusive. Bis hierhin hatte ich nach meiner „Konsolidierungsphase“ hinter Linz, wo ich dem hohen Anfangstempo Tribut zollen musste, akzeptabel Druck auf dem Pedal. Auf den 30 Kilometern bis Kelheim ging die Leistungsfähigkeit mit steigenden Temperaturen aber sukzessive zurück, der Anstieg von Kelheim über einen echt bescheiden geführten Radweg mit Gravel im Steilstück war eine Qual. Und: Die Füße meldeten sich mehr oder weniger von einer auf die andere Sekunde mit heftigsten Schmerzen an den Sohlen. Aber es waren ja nur noch schwache 150 km bis ins Ziel. Also auf die Zähne beißen und im Kopf ignorieren, dass bis Weihenstephan (Kontrolle 9) nochmals ein „Hügelgeficke“ vom Allerfeinsten wie bereits zwischen Plzeň und Karlovy Vary auf dem Programm stand, wenn auch auf guten Straßenbelägen. Um es kurz zu machen: Da niemand erwarten kann, diese langen Distanzen durchgehend „wie geschnitten Brot“ abzufrühstücken muss man Schmerzen, Wetter und andere Unannehmlichkeiten einfach niederringen – solange man sich nicht der Gefahr von größeren gesundheitlichen Schäden früher oder später aussetzt. Dennoch war ich natürlich froh, gefühlt „irgendwann“ nach den ganzen Hügeln und endlosen Hopfenfeldern endlich in Weihenstephan bei der neunten Kontrolle einzutreffen. Mit gut zwei Stunden für knapp 50 Kilometer Restdistanz in der Hand – bei allen Fußschmerzen und der voraussehbar problematischen Einfahrt nach München mit vielen Ampeln und der Passage des „Englischen Gartens“ – waren das gute Aussichten, um noch unter 60 Stunden anzukommen. Auch ein Großevent von Mercedes-Benz am Odeonsplatz, die den ganzen Bereich großflächig abgesperrt hatten und meine schnell improvisierte Umfahrung kreuz-quer durch den Hofgarten mit der dort am Samstagabend chillenden Großstadtgesellschaft als „Bremse“ konnte das erfolgreiche Unterbieten der 60-Stunden-Marke dann nicht mehr verhindern. Fazit – lessons learned: Es wäre cleverer gewesen, zu Beginn etwas langsamer an die Sache heranzugehen. Mit Blick auf den Leistungsmesser habe ich sicher nicht überzogen, allerdings hat mir der Körper nach 300 km beim ersten langen Anstieg doch in Erinnerung gerufen, was er seit Ende Mai / Anfang Juni alles leisten durfte: „ Mittelgebirge Classique “ (1100 km / 24000 Hm), Jura-Brevet (615 km / 6500 Hm), nächtliche Geburtstagsfahrt zum Donon-Tempel (300 km / 3700 Hm) und die Superrandonnée „ Belchen Satt “ (620 km / 13000 Hm) … das hinterlässt Spuren und das hätte ich mehr in meine Taktik bzw. Herangehensweise einbeziehen müssen. Radwege sind autofrei und damit zuerst mal vermeintlich ein sicherer Ort für uns Radfahrer. Sieht man das unsichere, aber zügige Fahrverhalten mancher eBiker (ein Graus vor Linz!) wie sie einem an Engstellen entgegenkommen, bleiben nur noch Rettungsaktionen mit Rutschen über beide Felgen, damit es nicht zum Zusammenstoß kommt. Sowas braucht man nicht... Selbst als Belgien-Fan habe ich so viele schlechte Straßen auf so kleinem Raum nicht mal in der Wallonie rund um Charleroi / Mons / Tournai (wo es besonders schlimm ist) gesehen. Das ist das eine. Werden diese schlechten Straßen (die weitgehend auch ohne Leitpfosten und/oder seitliche weiße Streifen nachts ein großes Plus an Konzentration fordern!) dann trotz vorhandener, z.T. sichtbarer Alternative, auch noch gezielt eingebaut, geht es doch Richtung absurd bis sinnlos. Ohne Ablassen von Luft unterwegs (ich bin die 32er-STR-Contis dann letztlich bis es vom Belag her wieder besser wurde, mit dem Roubaix-Reifendruck 2021 von Heinrich Haussler gefahren, also deutlich unter 3 bar) und erneutem Aufpumpen an der tschechisch-deutschen Grenze wäre es eine noch größere Qual gewesen. Auf den Punkt gesprochen: Bergauf bekommt man bei derart schlechtem Untergrund die eigenen PS nicht auf die Straße, bergab gibt es wiederum keine Erholung. Oder anders gesagt: Auch mal entspannt rollen lassen bzw. hochkurbeln geht nicht, um die Mega-Landschaft zu genießen. Daher: Tschechien bzw. dieses Dreiländereck sicher sehr sehr gerne wieder – dieses Brevet auf diesem Track hat für mich aber keine große Wiederholungsgefahr. Ich weiß, der letzte Punkt ist ein hartes (vorläufiges?) Urteil, vielleicht auch begünstigt durch den Kontrast zwischen den gut zu fahrenden ersten 300 km und den sehr schweren folgenden gut 350 km, auf denen man schon grundsätzlich über die Hälfte der Gesamthöhenmeter zu bringen hat. Dass in weiten Teilen dieses Abschnitts Dunkelheit, Nässe, Gegenwind, Straßenbelag bzw. Trackführung das Ganze im Speziellen zusätzlich unerbaulich gestaltet haben, macht ein „milderes Fazit“ nicht einfacher. Im Gegenteil. Was ich unterwegs an Landschaft wie Orten und Kultur gesehen habe, hat mir gefallen und war die Mühen wert. Aber e ine tiefere Inspiration (bisher) leider Fehlanzeige. In diesem Sinne kann man nur mit Brecht festhalten: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Für alle Freunde der #FactsAndFigures - alle Daten zu meinem Brevet findet ihr en detail bei STRAVA
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